Montag, 28. Februar 2011

Leben 2, Jahr 2, Tag 1 (a.k.a. Tag 366) – Happy Birthday!

Ein neuer Job, ein neues Land, ein neues Leben. Das zweite in meinem Fall.

Beschränken sich unsere generellen Kommunikationsmöglichkeiten zu Beginn des ersten Lebens im allgemeinen auf fröhliche Gluckser und lange Aneinanderreihungen von Vokalen, sieht der Fall bei mir, nachdem 30 Jahre, 3 Monate und 26 Tage seit meinem ersten Vokal vergangen sind, deutlich besser aus. Dankbarer Weise kommt mir in dieser unserer hoch-technologisierten Zeit aber nicht nur meine Fähigkeit Konsonanten zwischen die Vokale zu quetschen zugute, sondern auch noch das Internet so dass ich mich hier, all den Wünschen nach Nachricht von mir entsprechend, mal so richtig und hoffentlich auch möglichst regelmäßig austoben kann, mit dem Ziel euch zu informieren und, soweit möglich, das eine oder andere Lächeln in eure Gesicht zu zaubern. Drücken wir uns an dieser Stelle mal gegenseitig die Daumen, dass das was wird...

So fing mein allererster Text hier im Blog an, damals noch in einem Hotelzimmer mit dem Koffer und dem Rucksack, die meinen einzigen Besitz hier in der Stadt darstellten, in der Ecke, dem Teddybären, der es durch die verheißungsvolle Gepäckkontrolle geschafft hatte, auf dem Bett sitzend und mit mir am kleinen Tischchen des Zimmers, übernächtigt, überwältigt und über die Maßen ahnungslos, wie das hier jetzt etwas werden soll. Alles war fremd, die Leute zu verstehen alles andere als leicht und über allem hing ein fremder, nicht schlimmer aber unbekannter Geruch, den ich bis heute nicht zuordnen konnte. Ich vermute, dass es etwas mit der Brauerei hier in der Stadt zu tun hat, weil es mich an Bier erinnerte, aber sicher werde ich mir wohl nie sein.

Denn heute rieche ich den Geruch nicht mehr. Die Stadt ist mir bis auf wenige Ecken bestens bekannt, die Leute verstehe ich fast immer (außer sie verfallen wieder in ihr übliches südirisches Nuscheln) und sogar mit den Bussen komme ich jetzt klar (obwohl ich sie nach wie vor wann immer es geht meide). Kurz: Im Laufe des Jahres bin ich irgendwann angekommen, was für mich nicht einfach war. Viele Menschen haben mich für meinen Mut gelobt, einfach mal so in die unbekannte Ferne zu ziehen und da mein Glück zu versuchen und ich bin im Laufe des Jahres fließend zwischen der Dankbarkeit und dem Herunterspielen der Aktion hin und her gewechselt, je nach aktueller Stimmung. Die Wahrheit liegt wie so oft in der goldenen Mitte: Natürlich hatte ich die Wahl, einfach in Berlin zu bleiben, auf den Job zu pfeifen und mich für eine Karriere in der Pflegebranche sanitärer Anlagen in Einkaufszentren und Diskotheken zu entscheiden. Die Menschen da verdienen mit den ganzen Trinkgeldern nicht schlecht und ihr Job hat auch eine unleugbare Berechtigungsgrundlage. Aber glücklich wäre ich da wohl nie geworden und wenn ich schon arbeiten muss, um Geld zu bekommen, dann sollte mir die Arbeit wenigstens auf irgendeine Art und Weise etwas geben und mich glücklich machen. Wo ist sonst der Sinn dabei, morgens (oder in meinem Fall: Mittags) aus dem Bett zu steigen? Also bin ich den harten Weg gegangen, habe emotional mit der alten Heimat Schluss gemacht (die Liebe bleibt trotzdem immer), alle Verbindungen nicht gekappt, aber mit 1420 Kilometer langen Fäden neu gewoben und versucht das beste daraus zu machen. Wie es scheint mit Erfolg. Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir nicht ein Mensch ein zu dem der Kontakt im Laufe des Jahres endgültig abgebrochen ist. Klar, viele sehe, höre und lese ich nicht mehr so oft wie in Berlin und bei einigen habe ich es mit meiner zeitweise recht fordernden Art ungewollt provoziert, aber insgesamt betrachtet sind nur noch mehr Leute dazu gekommen und andere Kontakte haben sich intensiviert, obwohl ich damit nie gerechnet hätte.

Kontakt halten war und ist mir immer wichtig gewesen. Berlin hat die ersten 30 Jahre mein Leben bestimmt und wird es in ferner Zukunft wieder tun und jeder einzelne von Euch hatte daran in unterschiedlichem Maß Anteil. Himmel, sogar der Mensch, der sich zwischen 2009 und 2010 „mein Chef“ nennen durfte, hatte nicht unbedeutend Anteil an meiner Entwicklung. Wäre er nur etwas menschlicher gewesen, würde ich noch heute in seinem Büro sitzen und einen Schritt wie den vor einem Jahr niemals wagen. In diesem Sinn: Vielen Dank, Emanuel. Mögen die Faustgroßen Hämorrhoiden, die ich Dir so oft gewünscht habe heute zur Feier einmal nicht weh tun…

Aber ernsthaft: Ich hab mir schon vor Tagen den Kopf zermartert, was ich heute, anlässlich des ersten Jahrestages schreiben könnte und folgende 3 Punkte sind mir bisher in den Sinn gekommen:

1) Hier her zu ziehen war gut und richtig und in vielerlei Hinsicht eine wertvolle und prägende Erfahrung, die ich wohl nie bereuen werde (ich klopfe an dieser Stelle auf Holz). Ich weiß natürlich nicht, ob es so etwas wie eine der besten Erfahrungen meines Lebens ist. Dazu werde ich mir erst Jahre nach meiner Rückkehr ein Urteil erlauben können und der erste Platz in der „Beste Sache des Lebens“ Liga ist in den kommenden mindestens 59 Jahren noch heiß umkämpft, aber falsch war es nicht. Trotz einiger Depressionen, vieler Zweifel und unzähliger Stunden des stillen Nachdenkens kann ich das hier und jetzt mit Gewissheit sagen.

2) Wow, was für ein Jahr! In diesem Blog gab es 108 Texte von mir mit über den Daumen gepeilt 90.000 – 100.000 Zeichen, wenn nicht mehr, in denen ich Euch an so vielen Teilen meines Lebens wie mir möglich war teilhaben lassen wollte. Natürlich nicht an allen, aber wie versprochen an den wichtigsten (nicht zu intimen). Dazu gab es knapp 30 Zeichnungen (von denen einige nicht veröffentlicht wurden) was insgesamt aber mehr ist als jemals zuvor in meinem Leben und sich, Euren Kommentaren zufolge, auch ausgezahlt hat. Und nebenbei hatte der Blog in einem Jahr über den Daumen gepeilt 3800 Besucher, die nicht ich sind und 4000 insgesamt. Ich mache wegen der runden Zahlen kein Fass mehr auf, aber weil die Zahl noch knapp innerhalb des Jahres voll gemacht wurde, verdient sie eine kleine Erwähnung.
Beruflich bin ich leider noch nicht auf dem Niveau, das ich gerne erreichen möchte, aber nach einem Jahr zumindest kein Greenhorn mehr. Wird schon noch. Außerdem habe ich basierend auf einigen Kontakten und vielen Gesprächen eine Vorstellung, wohin mein Leben gehen soll.
Kulturell war das ganze Jahr in vielerlei Hinsicht natürlich auch lehrreich. Ich kann nicht sagen, ob in einem Jahr hier nicht mehr über die Irische Kultur gelernt habe, als in 30 Jahren davor über die Deutsche. Es scheint als würde das Wissen um Irland gewinnen, aber auf der anderen Seite nimmt man vieles in der eigenen Kultur ja auch komplett unbewusst auf, ohne es als aktives Wissen zu verbuchen. In jedem Fall kenne ich mehr gute Irische Amateurbands als Deutsche Bands in dieser Liga.
Der soziale Teil wurde eigentlich schon oben erwähnt und es ist natürlich klar, dass man in einer Firma, die mehr als 800 Mitarbeiter vor Ort hat haufenweise neue Menschen kennen lernt, aber die Menschen, die in diesem Jahr in mein Leben getreten sind und die ich heute „Freunde“ nenne (auch außerhalb der Firma), verdienen eine separate Erwähnung. Ein wenig schade ist, dass keine Iren dabei sind, aber man weiß ja nie, was die Zeit noch so bringt. :-)

3) DANKE! An jeden einzelnen von euch. Egal ob ihr den Blog regelmäßig gelesen, sporadisch reingeguckt, oder eigentlich gar nicht hier wart. Ob ihr mit mir gechattet, telefoniert, Emails oder andere Nachrichten geschrieben, mich in Cork besucht habt, oder mich einfach nur sehen wolltet, wenn ich in der Gegend war. Vielleicht haben Menschen ohne Bande in ihre alte Heimat es leichter, loszulassen und in neuen Situationen Fuß zu fassen. Vielleicht sind sie auf ihre Weise damit glücklicher und in einigen Situationen wäre eine „Fuck it“-Einstellung bestimmt der entspanntere Weg gewesen. Aber ich bin nicht „andere Menschen“ und ich mag es sehr von jedem von euch zu hören. Auch wenn es vielleicht nur einmal alle paar Monate ist. Deswegen, wenn ihr Euch im letzten Jahr irgendwann einmal bei mir gemeldet habt oder wir uns gesehen oder gehört haben, oder ihr auch einfach nur mal nett an mich gedacht habt: Habt vielen Dank und fühlt euch einmal gedrückt. Alternativ könnt ihr euch auch, wie in den ersten Texten immer noch geschrieben, selber oder gegenseitig auf die Schulter klopfen. Ihr seid toll!

Außer Emanuel. Du kannst denken was Du willst – die Hämorrhoiden bleiben (mir ist heute danach).

Und damit mache ich für heute Schluss. Ich könnte noch über mein Wochenende berichten an dem ich 3 Irische Bands auf Konzerten gesehen habe, aber das mache ich lieber an einem anderen Tag. Dieser Text ist hiermit definitiv zeitraubend genug gewesen. ;-)

Habt also alle einen schönen Start in die Woche, bleibt gesund und ich hoffe, dass die Sonne von jetzt an im Zeichen des Frühlings dauerhafter Gast bei den vom Winter gebeutelten Einwohnern Deutschlands und Montreals ist.

Robert ist raus.

3 Kommentare:

  1. Das erste Jahr soll ja immer das schwerste sein. In diesem Sinn kannst ja nur NOCH besser werden ;) Ich für meinen Teil wünsch Dir viel Erfolg in beruflichen wie privaten Dingen.

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  2. Alles wird gut :-) Das erste Jahr ist nicht nur das schwerste, sondern auch das aufregendste. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,...
    Sonneninsel grüsst grüne Insel!

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  3. Ach schade, dass ich das jetzt erst gelesen habe! Kopf hoch, dass keine Jubelstürme kamen - wir denken ganz oft an dich und eigentlich bin ich mind. einmal die Woche auf deinem Blog und schaue, was so Neues da ist! Lieben Dank für die Geburtstagsgrüße - ich war leider zu langsam mit der Antwort (der Hund lenkt mich immer ab! *AUS*). Ich drück dich fest zurück! Gute Nacht!

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